Freitag, 18. Januar 2013

Weine nicht, kleiner Stern..

'Welcome to the jungle' - ja, so komme ich mir vor. Leise schleiche ich mich durch die Wälder, ohne auch irgendwie bemerkt zu werden. Wer hatte mich denn bemerkt in den letzten Monaten?  Grinsend kicke ich die Tannenzapfen vor mich her. Die harten Gitarrensounds laufen noch immer durch meinen Kopf und im Takt nicke ich mit meinem Kopf. Es ist gut und gleichzeitig schrecklich allein hier zu sein. Ich hasse es allein zu sein. Doch was bleibt mir anderes übrig? Man kann nicht alles bekommen, was man möchte im Leben. Und alleine sein gehört bei mir schon dazu; wie das Wasser zum Trinken oder das Brot zum Kauen. Ich höre Stimmen. Schnell renne ich los, so schnell ich kann. Ich weiche Bäumen aus, springe übe Steine. Allein nur, damit sie mich nicht finden. Damit sie mich nie wieder finden. Ich komme mir vor wie in einem Ameisenhaufen. Sie stoßen dich weg, laufen einfach weiter. Sie übersehen alles, was doch so offensichtlich ist. Meine Knie und der Rest meiner Beine sind blau; auf meinen Armen rote Flecken. Der Stoff meiner Schuhe drückt sich in meine Fersen. Mein schwarzer Eyeliner ist verschmiert und kaum noch zu sehen, wobei ich nicht aussehe, als wäre ich ungeschminkt. Ich weiß, dass ich ohne das ganze Zeug furchtbar aussehe. Ich falle.

"Wo bist du?", ruft die Stimme, als ich mich wieder aufrapple. Ich versuche weiterzurennen. Meine mit blauen Flecken übersähten Beine tragen mich immer weiter. Mir ist kalt und warm zugleich. Einerseits schwitze ich, andererseits überfällt mich die Gänsehaut. Ich habe nicht mal annähernd eine Ahnung wohin ich gehen will. Ich laufe einfach. Plötzlich lassen mich meine Beine einfach fallen. Ich liege nun da.. im Dreck, verspüre jedoch nicht mal ansatzweise das Bedürfnis aufstehen zu wollen. Mein Blick trübt.. plötzlich alles schwarz. Die Erinnerungen ziehen an mir vorbei, wie ein Film.

Ich fliege. Der Wind berührt jeden kleinsten Teil meiner Haut. Ich spürte weder meine Finger, noch meine Zehen. Kleine Regentropfen fallen auf meine Nase. Langsam traue ich mich die Augen zu öffnen, obwohl ich etwas Angst habe. Es ist hell. Und ich sehe dich. Du stehst da, seelenruhig. Du verziehst keine Miene, nicht mal ein Lächeln. Du siehst durch mich hindurch, als wäre ich nicht da. Vielleicht bin ich nicht da? Vielleicht siehst du mich nicht? Nicht mehr? Ich folge dir, als du weiter gehst. Deine Schritte sind so langsam.. sie sind nie so langsam gewesen. Ich sehe mich um. Das einzige, was ich erkennen kann, sind helle Lichter und weiße Blüten. Mein Blick wandert nach oben. Unendliche Weite über mir.. über uns. Ich vernehme ein leises Schluchzen. Du sagst meinen Namen.. ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Bevor ich realisiere, dass ich nicht mal fähig bin zu sprechen, bleibst du stehen. Ich schleiche einige Zentimeter zur Seite. Vor dir steht ein weißer, großer Kasten. In das weiße Marmor sind Schriftzeichen hineingeritzt, die ich nicht lesen kann. Es ist so, als hätte ich sprechen und lesen verlernt. Und doch verstehe ich jedes Wort, das du sagst. Es betrübt mich, dass du mich nicht bemerkt hast.

"Was hast du getan?", fragst du leise. Ich horche auf, sehe dir in die Augen. Sie sind mit Tränen gefüllt. Ich verstehe nicht, wieso sie dir, eine nach der anderen, die Wangen hinunter rollen. Vorsichtig streiche ich mit meinem Finger über deine Wange, um sie wegzuwischen. Obwohl ich ganz nah bei dir stehe bemerkst du mich nicht. Du bemerkst keinen Atemzug, keine Berührung. Ich trete langsam zurück, bis ich mit meinem Rücken an den Kasten stoße. Verkrampft halte ich mich fest, atme einmal tief durch und drehe mich um. In dem Kasten liegt jemand. Er war oben geöffnet, sodass jeder hineinsehen kann. Mein Atem wird zittrig; ich verstehe die Welt nicht mehr. Wo bin ich denn hier? Ich drehe mich nicht wieder um zu dir. Viel mehr bin ich damit beschäftigt herauszufinden, wo ich hier bin und wer, verdammt, dort unten liegt. Nebelschwaden schweben umher und erschweren mir die Sicht. Ich erkenne rötliche Haare. Aus einem Blickwinkel merke ich, dass du auf mich zugehst. Schnell fliehe ich zur Seite und beobachte, wie du dich über den Kasten beugst. Kurz zögere ich. Was soll ich nun tun? Da stehen bleiben? Meine Beine tragen mich wieder zu dir. Deine Hand fährt durch die rötlichen Haare, die ich gerade noch so erkennen kann. Mehr sehe ich einfach nicht, egal, wie genau ich hinsehe. Wieder trifft mein Blick deinen, obwohl du mich gar nicht siehst.

"Bist du hier nicht irgendwo?", sagst du in einem verzweifelten Ton. Ich habe dich in den letzten Wochen nicht einmal so reden hören. Es ist immer so selbstverständlich gewesen, dass alles so war, wie es war. Und du hast nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht. Genauso wenig wie ich. Aber das ist gerade egal. Es erscheint mir zumindest egal. Deine Blicke zerreißen mir das Herz, obwohl ich nicht weiß, weshalb du so durch die Gegend schaust. Als würdest du jemanden suchen, so erscheint es mir. Ich versuche einen Ton von mir zu geben. Tatsächlich klappt es - ein leises Lachen ertönt. Aus heiterem Himmel reagierst du.

"Hallo?", rufst du.
"Ja?"
"Wer ist da?"
Ich erschrecke. Kannst du mich wirklich hören? Du siehst mich nicht und kannst mich hören?
"Ich..", murmle ich.
"Wer ist Ich?"
Ich stutze. Erkennst du mich wirklich nicht? Nicht mal an meiner Stimme?
"Na, ich halt.." Meine Stimme wird leiser. In mir war es wie ein Sturm aus irgendwelchen sinnlosen Gefühlen. Na gut, ob sie sinnlos sind, weiß ich nicht. Aber ich war durcheinander.
"Und was willst du von mir? Was machst du hier?"
Deine Antworten machen mich noch wütender, als ich sowieso schon bin. Deine Worte treffen mich, obwohl du nicht mal weißt, wer da mit dir spricht. Ich kann spüren, dass du es erahnst, aber würdest du dann so mit mir reden?
"Nun ja.."
"Sprich' doch, sag mir endlich, wer du bist. Und wo du bist!"
"WER ICH BIN?!", rufe ich.

"Du fragst mich jetzt ehrlich, wer ich bin? Ich bin die, die dich die letzten 3 Jahre begleitet hat. Die dich niemals im Stich gelassen hat. Die immer an deiner Seite war, verstehst du? Hast du denn eine Ahnung, wie das ist, wenn man kalt an den Kopf geknallt bekommt, dass deine.. ach, große Liebe nicht weiß, wer du bist?"

Mein Herz rast. Ich weiß nicht genau, was ich da gerade gesagt habe. Mir war es in diesem Moment auch egal, was du darüber denkst. In mir war wieder so viel Wut und so viele.. Worte..

"Jule..?" Deine Stimme zittert.
"Ja, ich! Genau die. Die Jule. Jaja.."
"Aber.. wie ist das möglich?"
"Wie das möglich ist? Indem ich gerade vor dir stehe und dir in die Augen sehe?"
"Aber ich sehe dich nicht. Wieso sehe ich dich nicht?"

Du wirst panisch. Als würdest du mich unbedingt sehen wollen. Du fuchtelst durch die Gegend.. doch du bekommst nichts zu greifen. Nicht mal ein Staubkorn.

"Ich weiß nicht, wieso du mich nicht siehst. Fakt ist, dass du mich hören kannst.."

Du schließt die Augen. Deine Hände zittern.

"Aber ich spüre, dass du da bist. Ich spüre deine Nähe.."
"Wie kannst du meine Nähe spüren?"
"Ich weiß nicht.. du bist einfach da!" Du lächelst.
"Du lächelst. Es ist schön dich lächeln zu sehen."
"Das konnte ich in den letzten Tagen nicht viel!", sagst du und seufzt.
"Warum? Was ist passiert?"
"Weißt du das denn nicht?!" Dein Blick erscheint mir wie entgeistert.
"Nein.."
"Du bist weg. Verstehst du? Weg!"

Wieder ist deine Stimme wie verzerrt. Und ich sehe erneut die Tränen deine Wange hinuterrollen. Verzweifelt suchen deine Hände meine. Es erscheint mir so, als würdest du nichts anderes wollen, als meine Hand zu nehmen und zu wissen, dass ich da bin.

"Wieso bin ich weg?"
"Du bist gegangen.."
"Nein, das glaube ich nicht. Ich würde niemals gehen, das weißt du..", erzähle ich.
"Aber wieso bist du dann einfach weggerannt?"
"Wann? Im Wald?"

Woher weißt du das? Ich meine, ich bin doch gerannt und hingefallen und bin.. in Ohnmacht gefallen und bin in einem Traum. Wie kannst du davon wissen? Das kannst du doch gar nicht wissen.

"Ja, genau da."
"Ich weiß nicht..", flüstere ich.
"Doch doch, das weißt du. Bitte sage es mir.."
"Ich liebe dich, weißt du.."
"Aber das ist doch kein Grund..", sagst du.
"Nein, in der Tat. Es ist kein Grund. Jedenfalls kein Grund einfach wegzulaufen.."

Ehrlich gesagt habe ich mir keine Gedanken gemacht wieso ich weggelaufen bin. Ich wollte dich glücklich sehen. Und ich dachte du wärst es vielleicht irgendwann.

"Aber ich bin es doch nur mit dir gewesen.."
"Bist du?"
Ohne zu zögern bringst du ein "JA!" heraus.
Du weinst. Du hast einfach angefangen zu weinen. Nur, weil du dieses kleine Wörtchen gesagt hast.
"Weine nicht, kleiner Stern.."
"Es scheint mir so vertraut, Jule.."
"Vielleicht ist es das.."

Diesen Moment hätte man festhalten müssen. Wie du da sitzt.. auf der Kante des Kastens und ich vor dir stehe und du mich einfach nicht siehst. Oder sehen willst. Meine Wut ist weg.. und ich laufe zu dir. Ich komme dir ein Stückchen näher.

"Ich stehe jetzt ganz nah bei dir.."
"Das ist schön..", schniefst du.
"Darf ich dir was sagen?", frage ich.
"Natürlich!"

"Ich bin weggelaufen, weil.. weil halt. Ich weiß es nicht. Vielleicht haben mich meine Beine davon getragen. Aber ich weiß, dass es falsch war und ist. Weil ich dich traurig sehe. Und wenn du es mir nur vorspielst, bist du ein echt guter Schauspieler. Ich bin nicht mehr in der Lage dazu zu sehen, was du denkst und fühlst. Ich habe gerade keine Ahnung, was du denkst. Ich kann es in deinen Augen nicht mehr sehen. Ob du glücklich bist oder nicht. Das Einzige, was ich will und wollte, ist und war, dass du glücklich bist. Und wahrscheinlich dachte ich, dass du es ohne mich wärst. Aber anscheinend habe ich es nicht direkt gedacht, sondern eher.. in mir. Weil ich nicht weiß, wieso, um Gottes Willen, ich einfach weg gerannt bin. Verstehst du? Ich will nicht wegrennen. Aber sage mir doch, was ich tun soll.. Wieso hast du mich nicht aufgehalten?"

"Aufgehalten? Wie sollte ich dich aufhalten? Ich wusste nicht, wie es dir ging und was los ist. Wieso konntest du es mir nicht einfach sagen? Wie es dir geht?"
"Warum nicht? Weil du glücklich sein sollst, verdammt. Glücklich! Und nicht mit einem Klotz am Bein leben.."

Du springst auf.

"Hör' mir mal zu! Ich weiß nicht, wo du gerade stehst, aber ich warne dich.."
Plötzlich hörst du einfach auf zu reden. Deine Augen sind weit geöffnet. Was ist los? Dein Mund steht weit offen. Ehe ich mich versehe hast du ein kleines Lächeln auf den Lippen.

"Jule.. du bist.. ich sehe dich!"
"Du siehst mich?", frage ich.

Du nickst. Dein Lächeln hatte sich in ein Grinsen verwandelt. Deine Hände wanderten vorsichtig in meine roten Haare.

"Ich..", sagst du.
"Ja?"
"Deine Augen.. und.. deine Arme und Beine. Was ist passiert?"
"Das spielt keine Rolle..", zögere ich.
"Du siehst so traurig aus.."
"Ich denke nicht, dass ich traurig bin. Ich fühle mich nicht so!"

Wieder grinst du. Dein Gesicht nähert sich meinem. Ich schließe vorsichtig meine Augen..

"JULE JULE JULE!"
Erschrocken reiße ich die Augen auf. Ich liege wieder in dem Wald; im Dreck. Und vor mir stehst wieder du. Mit deiner braunen Winterjacke und deinen roten Wangen. Verwirrt richte ich mich auf; mit meinen pochenden Kopfschmerzen.
"Was ist denn passiert?"
"Du bist einfach gelaufen..", sagst du traurig.
"Ich verstehe..", antworte ich und stehe auf.

Bevor ich mich wieder auf den Weg machen kann, hälst du mich fest.
"Ich habe gehört, was du zu mir gesagt hast!"
"Wann?"
"Deine Stimme hat mich her geführt.. sie sagte du wärst hier."
"Quatsch.."
"Doch wirklich!"
"Weißt du was?"
"Ja?"
"Ich liebe dich!"

Ich weine. Ich habe das Gefühl ich kann nur noch weinen. Es sprudelt aus mir heraus.

"Nicht weinen! Ich liebe dich doch auch!"
"Aber wieso ist das dann so?!"
"Ich will dir was sagen!"
"Was?", frage ich. Ich suche deinen Blick.

.. and what would be your answer?



    


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Mein Bild
Jule. Kein Intelligenzbolzen, aber wenigstens schaffe ich es Texte auf die Beine zu stellen oder ab und zu mal irgendwas zu kritzeln oder zu fotografieren. Deshalb würde ich mich als kreativ bezeichnen. Ich denke zu viel und nehme so gut wie alles persönlich. Ich bin lesbisch. Frauen sind die schönsten Wesen der Erde. Aber insbesondere liebe ich meine Freundin, die es immer wieder schafft mich zum Lächeln zu bringen und mich beeindruckt und glücklich macht. Und dafür danke ich ihr. Ich liebe dich. Feiert euch Hipster!

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