Sonntag, 13. Januar 2013

Dahin, wo uns keiner findet.



Noch ruhig sehe ich zu, wie das Auto in der Ferne verschwindet. Ich hole meine weißen Kopfhörer aus dem Beutel, stecke sie mir in die Ohren und ins Handy und wähle irgendein Lied aus. Komische Leute stellen sich neben mich. Es dauert eine halbe Ewigkeit, ehe die Bahn endlich vor mir hält. Noch bevor ich den Türöffner-Knopf drücken kann, verschwinde ich schnurstracks. Die Schneeflocken rieseln auf mich herunter. Alles läuft in Zeitlupe. Ich denke an den vergangenen Tag und realisiere, dass ich eine wirklich schöne Zeit hatte. Die letzten Monate waren wirklich eine wunderbare Zeit. Der Beat dröhnt in meinen Ohren. Eine Träne läuft mir die Wange hinunter. Die Schneeflocken werden größer und die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Ich weiß nicht, wo ich hinlaufe. Ich laufe einfach. Und laufe. Ich weiß nicht wohin. Meine Beine tragen mich. Weg. Weit weg. Vielleicht zu einem Ort, zu dem ich immer wollte. Eine Stimme flüstert mir ins Ohr, dass ich hier gut aufgehoben sei. Ohne dich. Ich will nicht alleine sein.
"Nicht ohne dich!", denke ich und drehe mich um. Alles, was ich sehe, sind Menschen. Und dich mitten drin. Ich renne und renne.
"Du musst ohne mich gehen!", sagst du, als du dich zu mir umdrehst. Die Musik wird lauter. Es wird kälter. Mein Mantel drückt sich fest an meine Haut, ich kann kaum atmen. Es war, als würde er mich aufhalten wollen zu rennen. Du verschwindest im Getummel der Schneeflocken. Verbissen sehe ich dir nach. Mit aller Kraft streife ich mir den Mantel vom Leib und laufe dir nach. Gänsehaut breitet sich aus. Wieder erblicke ich dich in der Ferne. Du stehst am Wasser. Dein Blick fängt sich in den Wolken. Du hältst einen Zettel mit meiner Schrift in der Hand. Wieder drehst du dich zu mir um.
"Du sollst mir nicht nach laufen", flüsterst du wieder. Plötzlich sehe ich auf den Boden. Ich stehe inmitten einer Pfütze. Meine Schuhe treiben im Wasser und verschwinden am Horizont. Aus einem von ihnen guckt der Zettel heraus, der nun mit meinen Schuhen fort schwimmt. Der kalte Asphalt schmiegt sich an meine nackten Füße, als ich nun ohne Jacke und Schuhe weiter laufe. Ich habe das Gefühl jeder Mensch, der an mir vorbei läuft ignoriert mich. Sie laufen lediglich durch mich hindurch mit ihren Coffe-to-Go's und verziehen keine Miene. Wieder wird die Musik lauter.
"Du sollst nie wieder Tränen vergießen wegen mir!", flüsterst du. Ich sehe dich nicht. Ich sehe niemanden. Ich schaue mich um. Verzweifelt verkrampfe ich meine Zehen.
"Wo bist du?", murmle ich. Tränen verzieren mein Gesicht und hängen wie Ohrringe an meinen Wimpern. Meine Schritte werden langsamer. Keiner kann nachvollziehen, was ich hier tue und ich habe das Gefühl ich kann es selber nicht. Jedoch weiß ich, dass mein Herz es mir sagt. Meine Hände verschwinden in meinen Hosentaschen. Meine Füße sind kalt und meine Lippen bläulich gefärbt. Ich betrachte das Wasser. Schneeflocken verfangen sich in meinen roten Haaren. Der Beat der Musik trägt mich weiter.
"Wieso muss ich dich verletzen?", schluchzt du. Ich werde aufmerksam. Du stehst da. Vor mir. Mit deinen blauen Augen, deinen dunklen Haaren. Du schniefst. Ich mustere dich von oben bis unten.
"Aber wo ist deine Jacke?", frage ich, "dir muss kalt sein!" Du lächelst. Nun stehen wir uns gegenüber. Der Wind pfeift durch unsere Haare. Du hast rot gefärbte Wangen und deine Augen glitzern wie Sterne. Deine Hände sind auch in den Hosentaschen verschwunden.
"Nun..", sagst du, "du hast mich ja hier hin geführt!" Dein Blick wirkt vertraut.
"Habe ich?"
"Natürlich hast du das.."
"Aber wieso ich? Du hast mir immer gesagt ich solle weggehen.."
"Ja und wieso hast du es nicht getan?"
Diese Frage sticht mir mitten ins Herz. Was soll diese Frage? Deine Stimme ist vertraut, nicht mal ernst oder wütend. Und doch tut es weh. Ich höre ein Geräusch. Als würde eine Scheibe zerspringen. Gedankenlos laufe ich weiter, wie von allein.
"Wohin gehst du?", fragst du.
"Ich weiß es nicht!", sage ich leise.
"Wieso weißt du es nicht?"
"Was soll das? Erst führst du mich her und jetzt sagst du so etwas! Hast du überhaupt eine Ahnung, wieso ich das alles gemacht habe?"
Ich hatte dich nie so verzweifelt angeschrien, doch die Wut brennt in mir. Der Schmerz drang aus meinem Mund und ließ alle Dämme reißen.
"Ich habe das alles nur für dich getan! Weißt du wieso ich nicht einfach umgekehrt bin?! Weil ich dich will. Nur dich, verstehst du? Ich gehe bei Sterbenskälte ohne Jacke. Ich gehe bei Sterbenskälte ohne Schuhe. Laufe durch Pfützen. Laufe solange, bis meine Hände eiskalt sind und meine Lippen blau werden. Ich laufe solange, bis ich dich immer wieder finde. Und weißt du wieso? Weil ich alles dafür tue, damit du bei mir bist. Damit du nicht genau das sagst, was du ständig gesagt hast. Dass ich gehen soll. Dass ich weggehen soll und ohne dich weiter machen soll. Verstehst du nicht, dass ich das nicht kann? Es verletzt mich, dass du mich einfach gehen lässt. Aber weißt du was? Ich lasse dich nicht gehen! Wieso wirfst du meinen Zettel weg? Wieso machst du das?"
Schüchtern kramst du etwas aus deiner Hosentasche. Es ist der Brief, der Zettel. Mit meiner Schrift.
"Ich habe ihn nicht weggeworfen.. ich würde ihn niemals wegwerfen"
"Was war das dann da in meinem Schuh? Der jetzt sonst wo rumschwimmt?"
Du kicherst. Du siehst mich an, als hättest du keine Ahnung wovon ich rede.
"Da war nichts! Du musst dich versehen haben.."
Ich schüttle mich.
"Das ändert nichts an der Tatsache, dass du einfach verschwindest..", sage ich kalt.
"Aber.."
"Nichts aber. Ich unterbreche sonst niemanden, wenn ich nicht etwas auf dem Herzen hätte. Aber ich habe was auf dem Herzen!"
Du gehst zu mir, stellst dich ganz nah neben mich. Wir sehen auf das Wasser. Die Flocken fallen immer noch, hinab auf unsere Nasen.
"Und was betrübt dich?", fragst du.
"Egal, was passiert. Ich laufe überall hin, um dich zu finden. Mich interessiert es nicht, wenn meine Lippen blau sind, meine Füße kalt wie Eis. Wenn meine Haut blass ist und die Tränen an meinen Wimpern gefrieren. Mir ist egal, ob ich über Berge laufen muss.. über Steine, über Nadeln, über Geäst, Gestrüpp. Ich gehe durch's Feuer für dich. Verstehst du nicht? Wieso sagst du, dass ich gehen soll? Was soll das? Ich kann es nicht verstehen. Ich kämpfe mich durch Stürme. Ich kämpfe mich überall hindurch. Und egal, wie sehr ich mich dabei verletzen sollte. Ich gehe solange, bis ich bei dir bin. Verdammt du kannst mich doch nicht einfach hier lassen..."
Mir fehlt die Kraft weiterzureden. Ich schluchze. Die Musik wird lauter. Ich schließe die Augen. Plötzlich spüre ich die Wärme deines Körpers.
"Ich liebe dich. Ich würde alles für dich tun.", wispere ich dir zu.
Ich höre nur noch deinen Atem und dein Herz, das schnell schlägt. Ich höre es wie das Meer, das rauscht; die Möwen, die kreischen.
"Ich verletze dich. Leider. Mir tut es weh, wenn ich dich verletze", schnaufst du.
"Wie meinst du das?" Ich blicke zu dir. Du verkrampfst deine Zehen.
"Wenn ich dir weh tue, tue ich mir auch weh. Wenn ich sehe, das du weinst, weine ich auch"
Ich sehe, wie eine Träne von deiner Nasenspitze perlt. Vorsichtig nehme ich meine Hand aus der Tasche und streiche sie langsam mit meinem Daumen weg. Du schließt die Augen. Es sieht aus, als würdest du es genießen, dass ich mit meinen Fingern dein Gesicht berühre.
"Ich tue alles für dich. Aber bitte lass' mich nicht gehen. Bitte lass' mich nicht alleine. Ich brauche dich doch", flüstere ich dir in dein Ohr. Der Himmel verdunkelt sich. Wie von allein laufen wir weiter. Einfach weiter, ohne etwas zu sagen. Wir laufen dem Rand entgegen. Noch bevor ich nachdenken kann schweben wir. Wir laufen. Schweben. Als würden uns die Wolken davon tragen. Die Musik wird ruhiger. Du öffnest die Augen und schaust mich an.
"Weißt du, wie das ist, wenn du mir das alles sagst?", fragst du mich.
Mein Herz pocht.
"Warte! Ich will dir noch etwas sagen..", unterbreche ich dich.
"Hmm?"
"Egal, was du jetzt sagst. Ich möchte, dass du weißt, dass du schon immer das Einzige für mich warst, wofür es zu kämpfen lohnt. Dass ich es liebe, wenn deine Lippen meine berühren und dein Mund meinen Namen ausspricht. Deine Nähe beflügelt mich. Und es lässt mich schwerelos werden. Egal, was du jetzt sagst. Du bist und bleibst die Einzige für mich. Und egal, welche Kreaturen mir den Weg versperren - ich werde versuchen bei dir zu bleiben und deine Hand nicht loszulassen. Und wenn ich mal nicht mehr da bin, sehe ich auf dich hinunter. Und werde trotzdem immer bei dir sein, deine Hand halten; dein Licht sein, wenn du dich in der Dunkelheit fürchtest. Hab' keine Angst, kleiner Stern. Ich nehme dir deine Angst. Ich halte dich fest."
Vorsichtig schiebe ich meine Hand an deine. Du greifst zu. Wir laufen weiter. Immer weiter.
"Wo laufen wir hin?", frage ich.
"Dahin, wo uns keiner findet"
"Und wo ist das?"
"Das bleibt uns überlassen. Wir werden schweben. Und solange wir schweben, werden wir nicht landen."
"Was wolltest du sagen?", frage ich zögerlich.
"Nun.."

.. and what would be your answer?

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Jule. Kein Intelligenzbolzen, aber wenigstens schaffe ich es Texte auf die Beine zu stellen oder ab und zu mal irgendwas zu kritzeln oder zu fotografieren. Deshalb würde ich mich als kreativ bezeichnen. Ich denke zu viel und nehme so gut wie alles persönlich. Ich bin lesbisch. Frauen sind die schönsten Wesen der Erde. Aber insbesondere liebe ich meine Freundin, die es immer wieder schafft mich zum Lächeln zu bringen und mich beeindruckt und glücklich macht. Und dafür danke ich ihr. Ich liebe dich. Feiert euch Hipster!

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